Dass Software die fragile Basis ist, auf der die heutige Wirtschaft steht, wurde in jüngster Zeit wieder einmal eindrücklich bewiesen. Dies gilt nicht nur für Software- und E-Commerce-Unternehmen. Hier ist es naheliegend. Man denke an den Softwarefehler auf der Amazon-Plattform vor wenigen Monaten, durch den die Verkaufspreise auf einen Cent reduziert waren. Während der einen(!) Stunde, die es dauerte, den Fehler in den Griff zu bekommen, verloren Händler durch die Billigverkäufe viel Geld - einzelne Händler bis zu 100.000 Euro.
Wie fragil das Software-Fundament ist, bekamen auch Hunderttausende von Flugpassagieren mit, als in der Vorweihnachtszeit ein Fehler in den Computersystemen des Luftraumkontrollsystem des National Air Traffic Services (NATS) alle Flughäfen des Londoner Großraums für eineinhalb Tage lahm legte. Allein in Heathrow mussten 1300 Flüge ersatzlos gestrichen werden. Einzelne Flüge wurden aufgrund des Chaos zur Landung umgeleitet. Sie mussten in Paris statt in London landen.
Vor zwei Wochen ist ein Softwarefehler im Bankenumfeld großes Medienthema im angelsächsischen Raum gewesen. Dieser Fall ist interessant, weil er deutlich macht, wo das eigentliche Problem liegt, und damit einen Lösungsweg aus dem Dilemma aufzeigt. Ob dieser Weg allerdings tatsächlich eingeschlagen wird, darf bezweifelt werden. Aber immerhin: Es ist Licht am Ende des Tunnels zu sehen und man weiß, in welcher Richtung der Ausgang liegt.
Was also ist geschehen? Im Jahr 2012 gab es einen IT-Zwischenfall bei der Royal Bank of Scotland, der National Westminister Bank und der Ulster Bank. Der Fehler im zugrunde liegenden Softwaresystem hatte Auswirkungen auf 6,5 Millionen Kunden. Sie konnten über mehrere Tage kein Geld abheben und bekamen falsche Angaben auf ihren Kontoauszügen. Auf BBC und im Guardian berichteten die Betroffenen über die teils gravierenden Folgen für das tägliche Leben. Sie konnten ihre Mieten nicht rechtzeitig bezahlen und hatten kein Geld für Essen. Teils wurde ihnen Strom und Gas abgeklemmt.
Vor zwei Wochen wurde der Fall nun vor Gericht entschieden. Die Banken müssen eine Strafe in Höhe von über 50 Millionen Pfund zahlen. Die Begründung des Gerichts war, dass die Banken-Vorstände die Fehlersicherheit ihrer IT-Systeme nicht im Griff hatten. Das Gerichtsurteil weist auf das Kernproblem hin: Software sollte kein Techie-Thema sein, sondern ein zentrales Thema des Vorstands.
Betrachtet man die typische Zusammensetzung eines Unternehmensvorstands, wird schnell klar, dass Software auf Vorstandsebene ein böhmisches Dorf sein muss. Weitestgehend sind dort nur Juristen, Volks- und Betriebswirte zu finden. Einen Informatiker als Vorstand findet man selten. Aber genau hierin besteht ein Ausweg aus dem Dilemma: Die Vorstände müssen IT-Expertise erhalten. Notwendig hierfür ist zum einen, dass Personen mit Software-Hintergrund in die Vorstandsebene gehoben werden. Zum anderen muss das Thema Software verstehbarer gemacht werden - so verstehbar und verständlich, dass auch ein Jurist erkennen kann, wenn das Unternehmen mit seinen veralteten IT-Systemen auf die Klippe zufährt.
Gerade im Banken- und Versicherungssektor ist der Blick lohnenswert. Denn hier sind die Technologien angsterregend alt. Das Software-Herz einer Bank ist oftmals in den 1970er Jahren entstanden - von hoch professionellen, hoch intelligenten Software-Ingenieuren gebaut, in einer Programmiersprache die sich COBOL nennt und die nicht mehr an den Universitäten gelehrt wird.
Das Hauptproblem mit diesem Kernsystem ist, dass die Erbauer entweder in Rente oder bereits tot sind. Diese Kernsysteme sind große monolithe Systeme, die auf das Kerngeschäft einer Bank des vergangenen Jahrhunderts ausgelegt sind. Sie berechnen im nächtlichen oder wöchentlichen Rhythmus Milliarden von Geldtransaktionen - im "Batch-Modus", das heißt im Stillen ohne Kontakt zu Außensystemen. Anfang der 2000er Jahre kam das Internet und damit der Kundenwunsch jeden Tag, jede Stunde in einer virtuellen Bankfiliale sein zu können.
Die Kernsysteme mussten mit moderneren Technologien ummantelt werden, um diese Wünsche erfüllen zu können. Mit der sekundenschnellen Smartphonetechnologie und der allgemeinen Vernetzung zwischen Unternehmen und Systeme bildeten sich weitere Softwareschichten, sodass die typische Banken-IT heute wie eine Zwiebel aussieht mit vielen Softwareschichten. Im Zentrum des Ganzen: der monolithische Legacy-Kern aus den 70er Jahren.
Jean-Louis Bravard, der ehemalige globale Chief Information Officer von JP Morgan, beschreibt die Problemsituation wie folgt: Hardware sei nicht das Problem. Das habe man im Griff. Software sei ein Problem. Man müsse mit der steigenden Komplexität der vielen Schichten zurecht kommen. Das eigentliche Problem sei aber ein organisatorisches, so Bravard. Die ganze Unternehmensorganisation sei so konstruiert, dass Manager und Executives von den Techies zu hören bekommen: "We're okay." Es fehle aber das IT-Verständnis und damit das Governance-Modell, um diese Aussage prüfen zu können. Wäre die IT mit ihren hoffnungslos veralteten Softwaresystemen sichtbar für die Vorstände, könnten diese das Unternehmensrisiko erkennen und endlich Geld in die Hand nehmen für die dringend notwendigen Modernisierungsarbeiten.
Artikel wurde ursprünglich 2015 in 'Manager Magazin' veröffentlicht.
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