Ein Programm wie eine Skyline

Manfred Schäfers
13.09.2016 15:34:00
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Ein Programm wie eine Skyline

Marc Hildebrandt-Mitbegründer der Seerene GmbH_Bild-Andreas Müller

Konzernlenker durchschauen immer weniger die Softwarestrukturen in ihrem Haus – das Startup-Unternehmen „Seerene“ verspricht, Licht ins Dunkel zu bringen.

Unternehmen und Stadtlandschaften bestimmen sein Leben, einerseits ganz real, andererseits abstrakt. Eines der jüngsten Kinder von Marc Hildebrandt heißt Seerene. Wenn der 35 Jahre alte Unternehmer erklärt, was er macht, wirft er mit seinem Laptop eine Grafik an die Wand

Im ersten Moment sieht es so aus wie eine stilisierte Stadtlandschaft, es könnte Manhattan bei Nacht sein. Doch es handelt es sich um etwas völlig anderes: eine Visualisierung der Programme, die auf den Rechnern eines Konzerns laufen. „Man sieht, wo die Entwickler arbeiten und welche Probleme sie umtreiben“, erläutert er.

Jedes Gebäude steht demnach für ein Softwarepaket. Wenn ein Programm sehr komplex ist, spiegelt sich das zum Beispiel in der Höhe, wenn dort oft etwas geändert werden muss, ist es rot eingefärbt.

Über die Jahre und Jahrzehnte haben Großunternehmen immer mehr Prozesse und Entscheidungen den Computern übertragen. „Die Software ist so kompliziert, dass das kein Mensch nicht mehr völlig durchblicken kann“, sagt Hildebrandt.

Eine bessere Grundlage für notwendige Entscheidungen

Wenn man einzelne Programme ausdrucken und stapeln würde, hätte man mit gigantischen Papierbergen zu kämpfen. So würden Entscheidungen, wo in die Software investiert werde, letztlich nach Bauchgefühl getroffen. Mit seiner Plattform will er die Konzernlenker in die Lage versetzen, die eigenen Systeme besser zu verstehen.

In einer Zeit, in der die Zukunft ganzer Unternehmen davon abhängt, dass ihre Software zu jeder Zeit ohne Ausfälle funktioniert, werden nach seinen Angaben rund um den Globus jedes Jahre Tausende von Milliarden Dollar in die Entwicklung und den Erhalt der Systeme investiert.

Mit Seerene sollen die Verantwortlichen effizientere Entscheidungen treffen können. Der Name des Unternehmens erinnert an das englische Wort „serene“, das man mit ruhig oder gelassen übersetzen kann. Für Hildebrandt heißt das: „Wir geben ihnen eine bessere Grundlage für notwendige Entscheidungen. Wir knipsen ihnen das Licht an.“

Man bringe die Daten zusammen und bereite sie so auf, dass sie der menschliche Verstand gut verarbeiten könne, ohne dass mit dem Quellcode der Schlüssel zu den Unternehmensgeheimnissen den Konzern verlässt. Das alles geschieht mit Hilfe der Stadtlandschaft.

Bewährte und verständliche Grundprinzipien

Die zugrundeliegenden kartographischen Grundprinzipien hätten sich bewährt und seien universell verständlich, betont Hildebrandt. Die Programme in den Unternehmen seien zuweilen Jahrzehnte alt. „Oft traut sich keiner mehr an sie heran. Man weiß, dass sie funktionieren, aber nicht, warum.“

Getreu der Regel, niemals ein Programm anzufassen, das funktioniere, würden sie zwar weiterhin genutzt, aber abgekapselt. Nun kann man nach seinen Worten sehen, wie viel Zeit es jeden Tag kostet, den abgeschirmten Bereich zu umkurven. „Man kann Software schneller entwickeln und Altlasten auflösen.“

Man findet das Unternehmen in Potsdam-Babelsberg. Die Eingangshalle des Gebäudes, in dem es Untermieter ist, dominieren ein riesiges gemaltes Landschaftsbild mit einem Hirsch auf einer Felskuppe vor mächtigem Bergpanorama und weitere Requisiten aus dem Kinohit Grand Budapest Hotel.

Von „Software Diagnostics“ zu „Seerene“

Hier am Griebnitzsee vor den Toren Berlins sitzt nicht nur das bekannte Filmstudio, sondern auch das unter Eingeweihten nicht minder berühmte Hasso-Plattner-Institut, an dem Studenten lernen, komplexe informationstechnische Programme zu verstehen, zu entwickeln und zu beherrschen.

Diese Nähe ist wichtig, denn an dem vom gleichnamigen SAP-Gründer ins Leben gerufenen Institut wurde Johannes Bohnet in Informatik promoviert. Mit ihm hat Hildebrandt vor fünf Jahren Seerene gegründet, damals lief das noch unter dem Namen Software Diagnostics.

Der Mitgründer kümmert sich heute um die kundennahen Produkt- und Service-Funktionen. Das Unternehmen hat mittlerweile 64 Mitarbeiter, es könnten schon noch mehr sein, wenn es alle offenen Stellen besetzen könnte.

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40 Großkunden zu verzeichnen

Auf etwa vierzig große Kunden kommt man aktuell, wie Hildebrandt berichtet. Im Internet verweist man in diesem Zusammenhang stolz auf die Deutsche Post, die Techniker Krankenkasse, Heidelberger Druckmaschinen, den Biotechnikkonzern Qiagen und den Bankendienstleister Fiducia&GAD IT.

Hildebrandt selbst hat die Universität nach nur eineinhalb Monaten verlassen. „Ich bin halt Unternehmer“, sagt er lakonisch. Damals startete er sofort mit seiner ersten Firma. Es ging um die dreidimensionale Darstellung von Innenräumen. Was heute alltäglich ist, war damals eine ziemliche neue Sache. „Dazu haben wir die Logik, die in der elektronischen Spielwelt schon verbreitet war, auf die neue Anwendung übertragen.“

Daraus wurde ebenfalls in einer Zusammenarbeit mit dem Hasso-Plattner-Institut ein Programm für die Stadtplanung namens „Landxplorer“. Es lieferte unter anderem digitalisierte Stadtansichten, was damals Google Earth zwar angekündigt hatte, aber zu der Zeit noch nicht auf dem Markt hatte.

Daraufhin wurde ein großer Software-Konzern aus Kalifornien auf das Produkt aus Potsdam aufmerksam, wie Hildebrandt erzählt. Für ihn war es eine Gelegenheit, die man nutzen muss. Er verkaufte, um mit dem Geld ins Immobiliengeschäft einzusteigen und gründete German Deep Tech. Unter dem Dach dieser Holding baut er Hightech-Firmen wie Seerene auf und bündelt die Immobilienaktivitäten.

Sein aktuelles Start-up sammelte Anfang vergangenen Jahres 5 Millionen Dollar von Kapitalgebern ein, mit dabei unter anderen der Berliner Geldgeber Earlybird Venture Capital. Hildebrandt selbst hat nach eigenen Angaben etwas mehr als eine Million Euro in das Unternehmen gesteckt, dessen Logo eine stilisierte Skyline zeigt. So ziehen sich Gebäude und Stadtlandschaften durch ein Gründerleben.

Original article in German published in September 2016 in "Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)".

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