In den Schlagzeilen klingt es dramatisch: „Das Ende des Programmierens ist nah.“ Doch wer Prof. Dr. Jürgen Döllner vom Hasso-Plattner-Institut zuhört, erkennt schnell: Die Realität ist komplexer – und spannender. In seiner Masterclass auf dem „Transform or Face Disruption“-Gipfel zeigte er auf, warum diese Transformation nicht das Ende, sondern der Anfang eines neuen Zeitalters der Softwareentwicklung ist.
Seit über 70 Jahren ist Softwareentwicklung ein menschzentrierter Prozess. Entwickler schreiben Code für andere Menschen – mit sprechenden Variablennamen, nachvollziehbaren Strukturen und einem Verständnis von guter Lesbarkeit. All das ändert sich jetzt grundlegend: Maschinen schreiben zunehmend selbstständig Code. Doch diese Automatisierung ersetzt das Programmieren nicht – sie definiert es neu.
Um den Wandel zu verstehen, hilft ein Blick in die Geschichte. Vor dem Buchdruck kopierten Mönche Texte in mühsamer Handarbeit. Später rationalisierte Gutenberg diesen Prozess mit seiner Druckerpresse – eine Revolution, die Wissen skalierbar machte. Noch später digitalisierten PostScript und PDF das Publizieren weiter.
Mit der Softwareentwicklung passiert heute Vergleichbares: Der handwerkliche Charakter des Codens weicht zunehmend einer industriellen, KI-gestützten Generierung. Doch so wie der Buchdruck das Schreiben nicht überflüssig machte, sondern neu definierte, transformiert KI den Beruf des Softwareentwicklers – sie schafft ihn nicht ab.
Software ist kein Mysterium. Sie ist ein sprachliches Artefakt. Während Programmiersprachen formal mächtig sind, zeigt Forschung, dass der Code, wie er in der Praxis geschrieben wird – etwa auf GitHub – eine hohe Regelmäßigkeit und Vorhersagbarkeit aufweist. Genau diese Eigenschaften machen ihn zu einem idealen Trainingsobjekt für Large Language Models (LLMs) wie ChatGPT.
Diese Modelle „verstehen“ Code nicht im menschlichen Sinne. Sie erfassen seine statistischen Muster – Syntax, Semantik, Struktur. Das reicht aus, um Assistenzsysteme wie GitHub Copilot oder KI-basierte Tools für Frontend-Entwicklung oder Datenbankmodellierung auf beeindruckendem Niveau arbeiten zu lassen.
Die eigentliche Revolution liegt nicht im Code, sondern in der Aufgabenstellung. Softwareentwicklung wandelt sich von der handwerklichen Umsetzung zur präzisen Problembeschreibung. Wer das Problem nicht klar genug formuliert, wird von der KI keine verwertbare Lösung erhalten. Wer zu konkret wird, verhindert Innovation.
Die neue Kernkompetenz von Entwicklern – und CIOs – besteht daher darin, präzise, aber offene Spezifikationen zu formulieren. Die Fähigkeit, mit Abstraktion und Klarheit zu arbeiten, wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor.
Die Vision ist faszinierend: Softwareentwicklung in Echtzeit. Ein Business-Problem formulieren – und Sekunden später eine lauffähige Softwarelösung erhalten. Bereits heute kann ChatGPT eine CSV-Datei analysieren, eine Python-Pipeline generieren, den Code ausführen und die Ergebnisse interpretieren – alles in einem Chatverlauf. Jeder Tastendruck wird zum Miniatur-Lifecycle.
Für Unternehmen bedeutet das:
Doch das alles funktioniert nur mit einem neuen Mindset – eines, das auf klare Kommunikation zwischen Mensch und Maschine setzt.
Die Disziplin, die dieses neue Zeitalter prägt, nennt sich Prompt Engineering – die Kunst, präzise Anweisungen zu formulieren, um zuverlässige Ergebnisse von generativen Modellen zu erhalten.
Künftige Softwareentwicklung erfordert:
CIOs, die ihre IT zukunftsfähig aufstellen wollen, müssen also nicht nur in Tools investieren – sie müssen auch ihre Prozesse neu denken.
Was wir erleben, ist vielmehr eine Renaissance: Ein Wechsel vom Implementierer zum Architekten. Menschen definieren die Absicht – KI übersetzt sie in Code, Dokumentation, Tests und UI-Flows. Kreativität, strategisches Denken und kritisches Urteilsvermögen bleiben essenziell – mehr denn je.
Die CIOs, die in diesem neuen Zeitalter erfolgreich sind, erkennen Software als lebendiges, sprachbasiertes System. Sie bauen Teams, die mit KI zusammenarbeiten, statt gegen sie. Und sie führen ihre Organisationen mit Klarheit und Agilität durch diesen Wandel.
Über Prof. Dr. Jürgen Döllner
Prof. Döllner ist Mathematiker, Informatiker und Lehrstuhlinhaber am Hasso-Plattner-Institut für Digital Engineering. Seine Forschung konzentriert sich auf KI-gestützte Softwareentwicklung, Prompt Engineering und die Schnittstelle zwischen natürlicher und formaler Sprache.
Dieser Artikel basiert auf seiner Masterclass im Rahmen des Executive Summit “Transform or Face Disruption”, Teil der Veranstaltungsreihe des Software Excellence Network. Die vollständigen Einblicke lassen sich am besten im Film zur Masterclass nachvollziehen – jetzt unten ansehen.
These Stories on Events/Webinars
August-Bebel-Str. 26-53
14482 Potsdam, Germany
hello@seerene.com
+49 (0) 331 706 234 0
Generative AI Seerene GmbH
August-Bebel-Str. 26-53
14482 Potsdam, Germany
hello@seerene.com
+49 331 7062340