Kaum eine Branche befindet sich nach Jahrzehnten der Prosperität wohl in einem derartigen Umbruch wie die Automobilbranche. Verbrennungsmotoren hatten das speziell in Deutschland so bedeutende Segment über Jahrzehnte fest im Griff und brachten es mit sich, dass meist nur noch Funktionsneuerungen und mechanische Feinheiten in einem sonst klar strukturierten Umfeld hervorgebracht wurden. Es ging um kleinere Innovationen an einem etablierten Stück Technik, das in seiner Ausgestaltung immer komplexer wurde, nicht jedoch in seiner grundsätzlichen Ausrichtung.
Doch der Wind hat auch in der so gut situierten Automobilbranche schon seit längerem begonnen zu drehen und dabei eine Welle von Umbrüchen mit teils unterschiedlicher Ausrichtung losgetreten. Unter Stichworten wie "Mobilität" diskutiert die Branche von Carsharing-Ansätzen bis hin zu Umbauten im Nahverkehr, während die wohl bedeutendste Innovatoren-Rolle im Bereich Automotive dieser Tage dem Elektroauto zukommt.
Insbesondere Elon Musks Elektroautohersteller Tesla, der mit seinem Tesla Modell S gerade dabei ist, den Markt auf eine Revolution einzustimmen, die sich schon lange ankündigt, genießt dieser Tage ein Maximum an Aufmerksamkeit. Das Elektroauto aus Palo Alto hat bisher eindrucksvoll aufgezeigt, dass Elektrofahrzeuge inzwischen alltagstauglich sind und die Diskussion über E-Mobility auf ein neues Level gehoben. Ein Level, auf dem Deutschland in vielerlei Hinsicht noch nicht angekommen ist.
Nicht umsonst ging es auch beim viel beachteten Machtkampf bei VW zwischen Firmen-Patriarch Ferdinand Piëch und Vorstandschef Martin Winterkorn um eben jene Zukunftsfähigkeit der Automobilindustrie. Denn während Teslas Vorstoß im Bereich der E-Mobility den Autokonzernen von der einen Seite zusetzt, bauen Silicon-Valley-Größen wie Google mit selbstfahrenden "Roboter-Autos" auf der anderen Seite des derzeitigen Innovationsspektrums Druck auf.
Besonders auf Landstraßen und Autobahnen bieten die computergesteuerten Fahrzeuge des Suchmaschinenriesen so manchen Vorteil, und die erste Bilanz des ambitionierten Projekts mutet dabei sogar verhältnismäßig vielversprechend an. Bereits 2020 will der Internetkonzern seine ersten selbstfahrenden Autos verkaufen und verfolgt damit einen ähnlich ambitionierten Plan wie Daimler, das seit kurzem auch autonom fahrende Lkw in Nevada testen darf.
Eines haben alle diese neuen Szenarien - von Carsharing über Elektrowagen bis hin zum selbst fahrenden Roboterauto - gemeinsam: in ihrem Zentrum steht Software als wesentlicher Baustein. Software ist zum Rückgrat der Automobilbranche geworden - von den Fertigungsprozessen bis hin zur Anwendung im Endprodukt. Doch obwohl Software mittlerweile eine so zentrale Rolle spielt, überfordert deren Komplexität bisweilen noch so manchen Hersteller. Ablesen lässt sich dies insbesondere an der gestiegenen Anzahl von Massenrückrufen aufgrund von Softwarefehlern, die sich in jüngster Zeit ereignet haben.
So sorgte etwa ein Softwarefehler dafür, dass Ford im Juli gezwungen war, in Nordamerika rund 433.000 Fahrzeuge in die Werkstätten zu beordern, nachdem einige Modelle von Softwareproblemen betroffen waren. Ein fehlerhaftes elektronisches Steuergerät konnte bei diesen Fahrzeugen bewirken, dass der Motor weiterlief, obwohl ihn der Fahrer ausgestellt hatte. Eine neue Software konnte den Kontrollverlust beheben, machte es aber erforderlich, dass Hundertausende Kunden ihr Fahrzeug zu einem Werkstättendienst brachten.
Auch der indisch-britische Automobil-Hersteller Jaguar Land Rover startete im Sommer eine außerplanmäßige Rückrufaktion für insgesamt 65.352 Fahrzeuge, nachdem ein Softwarefehler bewirkte, dass sich bei Fahrzeugen ohne Zündschlüssel während der Fahrt die Türen entriegeln konnten. Glaubt man den amerikanischen Medien, soll in einem Fall sogar eine Tür während der Fahrt aufgesprungen sein.
Und nicht nur in den USA zwangen zuletzt Softwarefehler zu drastischen Maßnahmen: Im gleichen Monat wie seine amerikanischen Konkurrenten rief auch der japanische Hersteller Toyota insgesamt rund 630.000 Hybrid-Autos in Japan, Nordamerika und Europa aufgrund einer softwarebedingten Gefahr zurück: Bei den Fahrzeugen bestand das Risiko, dass ein Softwarefehler in Einzelfällen zur Überhitzung des Systems hätte führen können, sodass sich das Hybrid-System beim Fahren ausschalten würde. Ein Fehler, der den Konzern ebenfalls zwang, Halter der betroffenen Fahrzeuge zu einem kostenlosen Software-Update zu bestellen.
Drei hochprofessionelle Autokonzerne, drei eklatante Rückrufaktionen - und das in nur einem Monat. Die Liste der Autorückrufe aufgrund von Softwarefehlern ist damit beileibe noch nicht zu Ende:
Die Liste ließe sich wohl noch ein ganzes Stück fortführen, bleibt doch festzustellen, dass die Anzahl zurückgerufener Autos zunehmend steigt. Mit 1,9 Millionen zurück gerufenen Fahrzeugen in Deutschland, war im vergangenen Jahr ein neuer Höchstwert an Automobil-Rückrufen zu verzeichnen.
Allein in den USA mussten 2013 die Hersteller 31 Prozent mehr Fahrzeuge zurückrufen, als sie an Neuwagen ausgeliefert haben. Und bei diesen Aufzählungen sind "stille Rückrufe", Reparaturen, bei denen Hersteller während regulärer Werkstattaufenthalte Probleme ohne großes Aufsehen mitbehandeln lassen, noch nicht erfasst.
Doch worin liegen die Ursachen dieser Fehleranfälligkeit auf der Software-Ebene, wenn Automobilhersteller Millionenbudgets in Wartung und Qualitätssicherung investieren? Zum einen besteht die grundlegende Herausforderung, dass die in Autos verwendeten Softwaresysteme hoch komplex geworden sind.
Zur Veranschaulichung: Die Mondkapsel aus dem Jahr 1969 kam noch mit einigen zehntausend Zeilen Programmcode aus. Ein modernes Auto verfügt mittlerweile über rund 20 bis 100 Millionen Zeilen. Es steckt also mehr Software-Code in einem Audi A8 als in der Apollo 11. Kein Experte ist mehr in der Lage, diese enorme Komplexität zu überblicken. Hinzu kommt die steigende technische Komplexität der Fahrzeuge selbst, welche zwar bessere Funktionen bietet, aber eben auch die Fehleranfälligkeit erhöht.
Zum anderen verfolgen die Hersteller inzwischen Modul- und Baukastenstrategien, bei denen unterschiedliche Automodelle mit den gleichen Bauteilen hergestellt werden, um damit flexibler zu sein, Synergieeffekte zu erzielen und immer neue Modellvarianten in immer schnellerer Folge und zu geringeren Kosten zu ermöglichen. Auch Software kommt auf diese Weise in unterschiedlichen Modellen zum Einsatz.
Dabei soll ein solches Gleichteile-Vorgehen erhebliche Einsparungen bewirken und das Risiko von Rückrufen eigentlich beherrschbarer machen, weil sich theoretisch die geringere Teile-Anzahl besser kontrollieren lässt. Vielmehr zeigen einige der jüngsten Beispiele aber, dass teure Rückrufaktionen die mit Baukastenstrategien erzielten Einsparungen schnell schmelzen lassen können, selbst wenn nicht die Zahl der Rückrufe, wohl aber die Zahl der betroffenen Fahrzeuge gestiegen ist.
In Summe bedeutet Software für die Automobilindustrie also ein komplexes und damit schwer zu überblickendes Produkt, das an immer mehr Stellen eingesetzt wird und noch schneller marktreif sein muss als bisher. Berücksichtigt man, dass Vorteile im globalen Wettbewerb oft durch zunehmende Entwicklungsgeschwindigkeit, die Verlagerung von Entwicklungsprozessen zu Zulieferern und einen erhöhten Kostendruck erzielt werden sollen, steigt mit dem Zeitdruck auf die Entwickler folglich auch das Fehlerrisiko und mindert die abgelieferte Qualität.
Unter dem Strich versuchen Automobilhersteller also, ihre Produkte noch schneller, noch vielfältiger und noch kostengünstiger zu produzieren - Entwicklungsziele, die für die Qualität der Autos sicher nicht immer von Vorteil sind. Massenrückrufe bleiben unausweichlich, wenn etwas schief geht. Denn je öfter ein fehlerhaftes Teil verbaut oder eine fehlerhafte Software aufgespielt wird, desto höher fällt die Anzahl der zurückgerufenen Autos aus.
Mit jedem Millionen-Rückruf entsteht so ein immenser Schaden. So rechnete der Autoanalyst Koji Endo etwa vor, dass ein Toyota-Rückruf von knapp 6,6 Millionen Fahrzeugen das Unternehmen mindestens 600 Millionen Dollar koste plus den oft nur schwer kalkulierbaren Imageschaden. Rechnet man also einmal grob, dass pro zurückgerufenem Fahrzeug hundert Dollar Kosten entstehen, wird schnell klar, warum Automobilkonzerne schon jetzt so viel Geld in Qualitätssicherung stecken und dass jedes Softwareproblem, das schon vor Verlassen des Fließbands in den Griff bekommen wird, bares Geld spart.
Soll die Zahl der softwarebedingten Rückrufe nicht immer weiter steigen, ist es folglich wichtig, dass Automobilkonzerne ein noch größeres Augenmerk auf die Qualitätssicherung legen. Und zwar auf eine Art der Qualitätssicherung, die nicht bloß reaktiv ausgelegt ist, sondern noch viel stärker präventiv in den Entwicklungsprozess integriert wird, um Softwarerisiken zu erkennen, bevor sie sich zu einem Softwarefehler ausweiten. So resümierte auch Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach, für den Spiegel, dass "die Eigendynamik von Absatzerfolgen und noch höheren Zielen starke Qualitätsmanagementsysteme benötigt und entsprechend starke Persönlichkeiten, die dafür Verantwortung tragen".
Mit anderen Worten: Die Wartung und Qualitätssicherung von Software sollte zum Thema auf höchster Ebene werden. Die Entscheider-Ebenen der Automobilbranche bedürfen Vertretern mit dezidiertem Software-Verständnis und firmenweit sollte die Schaffung hochwertiger Software-Lösungen entsprechend incentiviert werden. Daneben sollte innerhalb der Entwicklung die Schaffung eines Frühwarnsystems für Software-Risiken Priorität haben.
Ein solches leistet die Sichtbarmachung technischer Risiken - beispielsweise anhand von automatisiertem Data-Driven Software-Management - und kann so Software-Schwachstellen halbautomatisiert erkennen und handeln. Auf diese Weise lassen sich Fehler und Sicherheitslücken ausmachen und beseitigen, ehe sie entstehen, sodass teure und aufwändige Rückrufaktionen deutlich weniger häufig notwendig werden.
Original article in German published in August 2015 in "Manager Magazin".
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