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Softwareentwicklung im Wandel: Prof. Dr. Wolfgang Pree über die Zukunft der IT im Zeitalter Künstlicher Intelligenz

Geschrieben von Oliver Viel | 14.08.2025 08:45:00

Beim Software Excellence Network Summit „Transform or Face Disruption“ präsentierte Prof. Dr. Wolfgang Pree, Professor an der Universität Salzburg und CEO von AI², eine visionäre Perspektive auf die Zukunft der Unternehmens-IT. Seine zentrale Botschaft: Die klassische Softwareentwicklung, wie wir sie kennen, wird zunehmend von einem neuen Paradigma abgelöst – einem, in dem KI-Modelle nicht nur Werkzeuge sind, sondern selbst bestimmen, wie Software entsteht, sich weiterentwickelt und ausgeliefert wird.

Dieser Wandel ist keine bloße Theorie. Er findet bereits statt – und CIOs, die auch in Zukunft wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen Architektur, Teamstruktur und Steuerungsmodelle grundlegend neu denken.

KI als komplexes System – nicht nur ein Werkzeug

Prof. Dr. Pree machte einen entscheidenden Punkt deutlich, der oft übersehen wird: Auch wenn die Architektur großer Sprachmodelle (LLMs) wie GPT oder Claude technisch verstanden ist, lässt sich ihr Verhalten in der Praxis kaum exakt vorhersagen. Diese Modelle agieren als komplexe adaptive Systeme – vergleichbar mit biologischen Organismen und nicht mit deterministischen Maschinen.

Für CIOs bedeutet das: Klassische Vorstellungen von linearer Skalierbarkeit stoßen an ihre Grenzen. Stattdessen braucht es Strategien, die mit Unsicherheit und Emergenz umgehen können. Alte Kontroll- und Risikostrukturen funktionieren hier nur bedingt.

Natürlichsprachliche Programmierung: Das Ende des klassischen Codes?

Ein zentrales Thema seiner Masterclass war der Wandel von der handgeschriebenen Software hin zur KI-generierten Lösung. Moderne Sprachmodelle können längst ganze Anwendungen auf Basis von Textbeschreibungen erstellen – schnell, skalierbar und oft in besserer Qualität als konventionelle Projekte.

Prof. Pree zeigte Beispiele aus dem Hochschulbereich, bei denen Projekte, die früher ein ganzes Semester in Anspruch nahmen, von KI-gestützten Tools in wenigen Stunden reproduziert wurden. Daraus ergibt sich eine tiefgreifende Veränderung: Softwareentwicklung wird zugänglicher – nicht nur für Entwickler, sondern für Fachbereiche, Operations-Teams und sogar für nicht-technische Mitarbeitende.

Sandboxing statt Zentralisierung

Anstatt auf starre Top-down-Vorgaben zu setzen, plädiert Pree für kontrollierte, aber flexible Sandbox-Umgebungen. Diese ermöglichen schnelle Experimente mit klar definierten Zielen und zeitlichen Begrenzungen – ohne dabei große Risiken einzugehen. Das Erfolgsmodell vieler Start-ups basiert bereits auf diesem Prinzip.

Große Unternehmen tun sich damit jedoch oft schwer – nicht aus technischen Gründen, sondern wegen kultureller Trägheit. Für CIOs bedeutet das: Interne Governance-Strukturen müssen sich ändern. Agilität, Verantwortung und Anpassungsfähigkeit sollten über bürokratische Prozesse gestellt werden.

Neue Skills für IT-Teams: Vom Coder zum Kurator

Die Anforderungen an IT-Teams verändern sich rasant. Wo früher Syntaxbeherrschung gefragt war, rücken nun neue Kompetenzen in den Vordergrund: Prompt Engineering, Modell-Kuration, Datenkompetenz und Systemüberwachung.

Der klassische Entwicklerberuf verschiebt sich – vom „Schreiber“ hin zum „Gestalter“ intelligenter Systeme. Der Fokus liegt zunehmend auf der Qualität der Eingabedaten, der Überwachung von Modellverhalten und der Fähigkeit, KI in komplexe Prozesslandschaften einzubetten. CIOs müssen daher nicht nur IT-Teams schulen, sondern auch die Fachbereiche in die Lage versetzen, mit KI effektiv zu arbeiten.

Strategische Agilität in unsicherem Terrain

Pree betonte die unvorhersehbare Natur KI-basierter Systeme – nicht nur aufgrund ihrer Komplexität, sondern auch wegen der rasanten Weiterentwicklung. Fähigkeiten wie logisches Denken oder mehrstufiges Problemlösen, die lange Zeit als „nicht machbar“ galten, treten nun plötzlich auf – ohne dass sie gezielt trainiert wurden.

Für CIOs heißt das: Governance-Frameworks müssen schnelle Iterationen, Fehlerkultur und Kurskorrekturen erlauben. Ebenso wichtig ist die Fähigkeit, neue Modelle schnell zu integrieren, Workflows anzupassen und permanent Feedbackdaten zur Verbesserung zu nutzen.

Die Evolution der Informatik

Langfristig, so Pree, könnte sich die Informatik selbst transformieren – weg vom Codieren, hin zur „Erziehungswissenschaft“ für intelligente Systeme. Softwareentwicklung wird dabei nicht mehr als Umsetzung technischer Spezifikationen verstanden, sondern als kontinuierlicher Dialog zwischen Mensch und Maschine.

Was heute noch wie Zukunftsmusik klingt, zeigt sich bereits in ersten Umrissen: Entwicklerteams agieren als Kuratoren, Systeme lernen kontinuierlich, und KI wird zum Co-Autor von Geschäftsprozessen.

Handlungsempfehlungen für CIOs

  • Architektur neu denken: KI-native Architekturen könnten die klassische Softwareentwicklung ablösen.
  • Funktionalität vom Engineering entkoppeln: Business-Anwender werden künftig vermehrt eigene Lösungen generieren können.
  • KI-Kompetenz aufbauen: Organisationen brauchen ein grundlegendes KI-Verständnis – über IT hinaus.
  • Experimentieren ermöglichen: Sandboxed-Umgebungen fördern schnelle, risikoarme Innovation.
  • KI als komplexes System begreifen: Agieren Sie mit Unsicherheit, statt dagegen.
  • Erfolg neu definieren: Geschwindigkeit, Feedback und Lernfähigkeit sind wichtiger als klassische Projektmeilensteine.

Prof. Dr. Wolfgang Pree forderte CIOs dazu auf, Softwareentwicklung nicht länger als statische Disziplin zu begreifen. Die zentrale Aufgabe der IT wird zunehmend sein, Umgebungen zu gestalten, in denen intelligente Systeme lernen, sich anpassen und entfalten können.

Hinweis: Dieser Artikel basiert auf der Masterclass von Prof. Dr. Wolfgang Pree beim „Transform or Face Disruption“-Gipfel. Um seine Aussagen vollständig zu verstehen, empfehlen wir dringend, sich die komplette Präsentation anzusehen. Bei Fragen oder Anmerkungen stehen wir gerne zur Verfügung.