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Die Herausforderung der Echtzeitfähigkeit in der automobilen Software

Geschrieben von Brandon Lewis | 22.02.2025 23:15:00

Die Automobilbranche steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Während früher die mechanische Ingenieurskunst im Mittelpunkt stand, wird die Zukunft der Mobilität zunehmend durch Software geprägt. Dabei stellt sich eine zentrale Frage: Wie können Automobilhersteller und Zulieferer Software entwickeln, bereitstellen und warten, die nicht nur innovativ, sondern auch sicher, skalierbar und mit den strengen Echtzeitanforderungen sicherheitskritischer Systeme konform ist?

Auf einer kürzlich stattgefundenen Branchenveranstaltung beleuchtete der Automotive-Software-Experte Dr. Ingo Alfter die enormen Herausforderungen und Chancen, mit denen sich CIOs in diesem Transformationsprozess konfrontiert sehen. Seine Erkenntnisse zeichnen ein komplexes Bild: Softwarefabriken, Cybersecurity und Over-the-Air (OTA)-Updates werden ebenso entscheidend wie PS und Drehmoment.

Die Herausforderung der Echtzeitfähigkeit

Im Gegensatz zu herkömmlicher Unternehmenssoftware, bei der geringe Verzögerungen meist keine schwerwiegenden Folgen haben, muss Automotive-Software – insbesondere für sicherheitskritische Funktionen – mit höchster Präzision in Echtzeit arbeiten. Ein Bremssystem, das nur einen Bruchteil einer Sekunde zu spät reagiert, ist nicht nur ineffizient, sondern ein erhebliches Sicherheitsrisiko.

Alfter wirft die Frage auf, ob moderne IT-Methoden wie containerisierte Software und Open-Source-Frameworks diesen Anforderungen gerecht werden können. In der Automobilindustrie geht es nicht nur darum, dass Software funktioniert – sie muss zur exakt richtigen Zeit funktionieren. Die Herausforderung liegt nicht nur in der Ausführung, sondern in der Synchronisation innerhalb eines zunehmend komplexen digitalen Ökosystems.

Das ungenutzte Potenzial von Fahrzeugdaten

Daten werden oft als das „neue Öl“ bezeichnet, doch im Bereich der Automotive-Software bleibt ihr volles Potenzial weitgehend unerschlossen. Während OEMs bereits während der Fahrzeugentwicklung riesige Datenmengen erfassen, steckt die systematische Aggregation und Auswertung von Daten aus dem laufenden Betrieb noch in den Kinderschuhen.

Moderne Fahrzeuge generieren täglich Terabytes an Daten, doch ein Großteil bleibt in proprietären Silos gefangen. Laut Alfter hat die Branche Fortschritte gemacht, insbesondere in der Nutzung realer Fahrdaten für ADAS (Advanced Driver Assistance Systems). Doch für eine echte softwaregetriebene Optimierung ist eine breitere, standardisierte Nutzung dieser Daten erforderlich.

Der Abbau von Softwaresilos

Traditionelle Entwicklungsmodelle in der Automobilindustrie setzen auf eine enge Verzahnung von Hardware- und Software-Teams. Beispielsweise arbeiteten Entwickler von Bremssystem-Software früher direkt mit den Hardware-Ingenieuren zusammen. Doch mit zunehmender Software-Komplexität stößt dieses Modell an seine Grenzen.

Führende Automobilunternehmen setzen stattdessen auf modulare Architekturen, die es ermöglichen, verschiedene Softwarekomponenten unabhängig voneinander zu entwickeln. Alfter beschreibt diesen Wandel als den Übergang zu softwaredefinierten Architekturen, bei denen Teams an separaten Funktionsebenen arbeiten, die später in den Entwicklungsprozess integriert werden. Dies beschleunigt Innovationszyklen, stellt Unternehmen jedoch vor neue Herausforderungen – insbesondere bei der Qualitätssicherung und Integration.

Cybersecurity: Eine bewegliche Zielscheibe

Eines der größten Themen für CIOs in der Automobilbranche ist die langfristige Absicherung von Fahrzeugsoftware gegen Cyberangriffe. Ein Auto, das vor drei Jahren mit zertifizierter Software vom Band lief, kann heute potenziell verwundbar sein.

Die Branche muss sich an einen fundamentalen Paradigmenwechsel anpassen: Software-Updates sind kein optionales Feature mehr, sondern eine Notwendigkeit. Dennoch gibt es Widerstände. Alfter merkt an, dass einige Unternehmen nicht nachvollziehen können, warum eine bereits zertifizierte Software später noch aktualisiert werden muss. Doch die Realität ist: Automotive-Cybersicherheit ist kein einmaliger Prozess, sondern eine kontinuierliche Aufgabe, die ständige Wachsamkeit, Anpassungsfähigkeit und branchenübergreifende Zusammenarbeit erfordert.

Die Zukunft: Standardisierung und Skalierbarkeit

OTA-Updates haben die Art und Weise, wie Fahrzeuge gewartet werden, grundlegend verändert, indem sie Fehlerbehebungen und neue Funktionen ohne Werkstattbesuche ermöglichen. Doch Alfter warnt: Fehlende Standards sind eine der größten Herausforderungen. Unterschiedliche OEMs verfolgen unterschiedliche Ansätze in der Softwarebereitstellung, was zu Fragmentierung führt.

Besonders kritisch wird dies bei sicherheitsrelevanten Systemen wie der Fahrzeugbremse. Während einige Hersteller darauf bestehen, ihre Software ausschließlich intern zu entwickeln, setzen andere auf die Integration externer Lösungen. Die Herausforderung besteht darin, eine Standardisierung zu erreichen, die sowohl Sicherheit als auch Interoperabilität gewährleistet, ohne Innovationsspielräume einzuschränken.

CIOs an der strategischen Weichenstellung

Mit dem zunehmenden Wandel hin zu softwaredefinierten Fahrzeugen übernehmen CIOs eine Schlüsselrolle. Es geht nicht nur darum, neue Technologien einzuführen – vielmehr steht eine grundlegende Neuausrichtung der gesamten Softwarestrategie im Mittelpunkt.

Die Zukunft der Branche wird von den Unternehmen geprägt, die Echtzeitfähigkeit mit Innovationskraft verbinden, Daten in großem Maßstab nutzen und Cybersicherheit gewährleisten, ohne die Entwicklungsprozesse auszubremsen. Wie Alfter verdeutlicht, ist der Weg dorthin komplex – doch wer ihn erfolgreich meistert, kann die Automobilindustrie nachhaltig transformieren.

Das Software Excellence Network

Das Software Excellence Network ist eine führende Community für Entscheider, Vordenker und Innovatoren, die sich mit Softwarestrategie, Effizienz und Sicherheit in großen Unternehmen beschäftigen. Mit einem Fokus auf Best Practices, zukunftsweisende Technologien und Branchen-Insights unterstützt das Netzwerk Führungskräfte dabei, die digitale Transformation voranzutreiben und Softwareentwicklung als Wettbewerbsvorteil zu optimieren.

Hinweis an die Leser: Dieser Artikel fasst zentrale Themen aus der Masterclass von Dr. Ingo Alfter zusammen. Für ein umfassendes Verständnis empfehle ich, die vollständige Masterclass anzusehen. Bei Fragen oder Anmerkungen können Sie mich jederzeit kontaktieren.